AlGf Zwischenruf: Wenn alle nur noch mit der AfD reden
AlGf Zwischenruf (25. Januar 2025)
Wenn alle nur noch mit der AfD reden
Mitten in der sogenannten heißen Phase des Wahlkampfs produzierte Olaf Scholz bei der Veranstaltung "Fragen Sie die Spitzenkandidaten" der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Satz: Ich habe das Gefühl, ich sage das hier so offen: Im Augenblick wird mit größter Intensität, großer Umsicht das deutsche Volk belogen. Und referiert damit vor allem auf die von der FDP vorgetragenen Möglichkeiten zur Finanzierung der Ukrainehilfen, die die noch amtierenden Koalitionsparteien auf den Weg bringen möchten.
Der unverhohlene Vorwurf der Lüge ist für deutsche und demokratische Parteien ungewöhnlich drastisch, wird entsprechend viel zitiert und führt den medienwirksamen Streit fort, der zum Koalitionsbruch geführt hatte. So ist es offensichtlich, dass die SPD – im Kontext des Koalitionsstreits durchaus nachvollziehbar – die FDP im Wahlkampf scharf angreifen möchte.
Hier passiert aber noch viel mehr: Der Vorwurf der Lüge diskreditiert die gegnerische Partei als demokratischen Akteur vollkommen, da ihr offenbar kein Vertrauen entgegengebracht werden kann, denn „Lüge“ bedeutet, dass es eine absichtliche Irreführung und Falschaussage gibt, die sich in Wirklichkeit gegen die Interessen der Belogenen richtet und auf deren Kosten dem eigenen Vorteil dient. Solche absoluten Diskreditierungen untergraben das Vertrauen in demokratische Parteien generell.
Ins Auge fällt dann aber auch noch die Formulierung des Vorwurfs, dass „das deutsche Volk“ belogen würde, womit Scholz die von populistischen Kräften oft herangezogene Unterteilung in Volk vs. Politik oder Elite in Anspruch nimmt. Die destruktive Kraft dieser Formulierung basiert auf der Infragestellung des Kooperationsprinzips, das uns ohne einen konkreten Anhaltspunkt für eine Lüge grundsätzlich nicht an der Glaubwürdigkeit unserer Gesprächspartner zweifeln lässt – die Grundvoraussetzung für den demokratischen Diskurs.
Wie kann es sein, dass der Wahlkampf demokratischer Parteien in so diskurszerstörende Rhetorik verfällt? Die Antwort geht über die aufmerksamkeitsökonomische These hinaus, dass solche Zitate die lautesten, kämpferischsten und daher am häufigsten zitierten Wahlkampfmanöver darstellen: Die AfD und ihre Anhänger werden in der politischen Kommunikation offenbar immer mitgedacht. Scholz adressiert zwar die FDP als Wahlkampfgegner, führt aber in Wirklichkeit ein Schaustück für die potenzielle AfD-Wählerschaft auf, die er zu beeindrucken glaubt, wenn er ihre sprachlichen Muster kopiert. Scholz erhebt damit die AfD und ihre Sympathisanten zum Maßstab seines Wahlkampfstils.
Und genau das macht Scholz auch mit seinen Reaktionen auf den Messerangriff in Aschaffenburg, wenn er „Es reicht“ sagt und ganz vage „Konsequenzen“ fordert. Die Vagheit des Konsequenzenbegriffs in diesem Zusammenhang erlaubt es nun, sich jede migrationspolitische Maßnahme im Modus des Auf-den-Tisch-Hauens vorzustellen. Die Kopie der von der AfD gewohnten Diskursmuster und ihres Sprachstils suggeriert, dass Scholz für die Patentrezepte des Rechtspopulismus offen sei. Ebenso funktionieren Scholz‘ Worte „Ich bin es leid, wenn sich alle paar Wochen solche Gewalttaten zutragen…“ und Aus den gewonnenen Erkenntnissen müssen sofort Konsequenzen folgen – es reicht nicht zu reden.
Die Strategie findet sich zeitgleich auch bei CDU-Politiker Reiner Haseloff, der in seiner Regierungserklärung mit Bezug auf den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt noch vor Abschluss des Untersuchungsausschusses zu einem möglichen Behördenversagen „Konsequenzen“ fordert und ebenso vage den Begriff des „Gefährders“ ausweiten will: Auch sie [Anm.: migrantische Fachkräfte] müssen unser Land verlassen, wenn sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen.
Auch Friedrich Merz und Markus Söder haben sich den aktionistischen, affektiven „es reicht“-Rufen angeschlossen, um mit ihnen migrationspolitische Folgen anzukündigen und dadurch Asylsuchende generell zum Sündenbock zu erklären. Mit seinem Statement vom 24. Januar hat Merz nun sogar deutlich gemacht, dass er sich nicht nur an den Diskursmustern der Rechten bedient, um potentielle Wähler zu gewinnen, wie andere Politiker. Er scheut nun ausdrücklich nicht nur auch die Zusammenarbeit mit demokratiegefährdenden und verfassungsfeindlichen Akteuren nicht mehr, sondern kündigt sie regelrecht an. Die umgehend einsetzenden Jubelstürme der AfD-Führung können ihn und sein Team nicht überrascht haben. Sie müssen Teil des Kalküls sein.
Parteien, die auf die demokratische Karte setzen wollen, dürfen nicht aufhören, mit den Teilen der Wählerschaft zu sprechen, die nicht bereit sind, Grundgesetz und Demokratie aufzugeben. Solange sie zulassen, dass ihre öffentlichen Äußerungen so aussehen, als richteten sie sich vor allem an AfD-Sympathisanten, sprechen sie eben auch vor allem mit diesen.
Und die wissen bereits, wen sie wählen werden.
Kristin Kuck
Hinweis:
Das Format AlGf-Zwischenruf will pointiert Perspektiven der linguistischen Gesellschaftsforschung aufzeigen. Es handelt sich um persönliche Anmerkungen des zeichnenden Mitglieds aus dem AlGf-Team.
Übersicht
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