AlGf Zwischenruf: Omas Schlagerwelt ist in Gefahr
AlGf Zwischenruf (26. August 2024)
Omas Schlagerwelt ist in Gefahr
„... damit die Oma und ihre Schlagerwelt safe sind.” – Das ist ein politisches Wahlversprechen, das ein kleines Video aus den in ihre Schlussphase einbiegenden Wahlkämpfen in Sachsen und Thüringen verkündet. Wahlkampf auf Abwegen.
Vielleicht gehört das ja auch zu Ihren größten Befürchtungen, die Sie dieser Tage beschäftigen: „.. kein Florian Silbereisen mehr an Weihnachten“, wie es in dem Spot weiter heißt, mit dem sich die GRÜNEN-Spitzenpolitikerin Katrin Göring-Eckardt dieser Tage auf der Social Media-Plattform X meldet und vor einer Welt ohne das Unterhaltungsprogramm des MDR warnt. Es ist ja durchaus möglich, dass auch Ihre Großmutter ein so glühender Silbereisen-Fan ist, dass die Grenzen eben jener „Schlagerwelt“ gleichzeitig die der eigenen sind. Dass sie glücklich und zufrieden mit allem anderen ist, wenn nur diese weiter existiert.
Und was die Omas angeht, die hier gemeint sind, so sind das ja vermutlich in erster Linie ostdeutsche Omas, denn nur im Osten laufen Wahlkämpfe und droht den Landesregierungsparteien CDU und Linke ein Tiefschlag und den „Ampel“-Parteien der Untergang in der absoluten Bedeutungslosigkeit. Ostdeutsche als ein kleines bisschen weniger intelligent erscheinen zu lassen als andere Menschen, gehört ja zu den etablierten Mustern des Ost-West-Diskurses, die seit bald fünfunddreißig Jahren stabil funktionieren und mit denen sich zuletzt im Frühjahr 2023 eine gemeinsame Tagung der AlGf und der AG „Sprache in der Politik“ beschäftigt hat.
Aber wer kam nun wohl auf die Idee, mit dieser Form des Wählerbashings um Stimmen zu kämpfen – einschließlich eines gehörigen Schlags gegen Menschen höheren Alters, die gerade in Ostdeutschland die Bevölkerungsmehrheit stellen, an dieser Stelle aber gar nicht erst direkt angesprochen werden? Denn es sind ja die liebenden Enkelinnen und Enkel, die in Sorge geraten und umdenken sollen.
Freilich, im Kern geht es Göring-Eckardt darum, vor der Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu warnen, die zu den Forderungen der AfD in den Wahlkämpfen gehört. Tatsächlich ist das Thema gar nicht so marginal im Osten. In ihm verdichtet sich das Problem, das gerne in der Formel gefasst wird, die Ostdeutschen fühlten sich „nicht gehört“. Das lässt sich nämlich gut daran festmachen, dass sich viele von ihnen in den Programmen von ARD, ZDF, Deutschlandfunk & Co nicht angemessen abgebildet und vertreten fühlen. Auch der CDU-Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Reiner Haseloff, vertritt diese These immer wieder und mit einiger Zustimmung.
Man könnte das ernst nehmen. Göring-Eckardt entscheidet sich dagegen: Lasst uns so weiter machen im politischen und medialen Geschäft, scheint ihr Vorschlag zu lauten – wenn die jungen Ossis erst erkannt haben, dass ihren Großeltern der fesche bayerische Volksmusiker und „Traumschiff“-Kapitän durch die Lappen geht, sobald es den MDR nicht mehr gibt, werden sie den Verlockungen der AfD schon nicht erliegen.
Vielleicht haben Sie mit Ostdeutschland nichts am Hut. Gut, aber auch dann sollten Sie besorgt sein. Bei allem Verständnis und Respekt für Wahlkampf mit dem Rücken dicht an der Wand: Dem völlig frei von rationalen und tragfähigen Argumenten vor sich hin schwadronierenden Rechtspopulismus, der zurzeit alle westlichen Demokratien erobert, kann ganz sicher nicht mit einem solchen Höchstmaß an Entpolitisierung begegnet werden.
Sprachliche Kommunikation hat nach einem viel zitierten Axiom des Philosophen und Psychologen Paul Watzlawick einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt. Auf der Inhaltsebene ist das Argument, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei ausgerechnet wegen seiner seichten Schlager- und Weihnachtsunterhaltung erhaltenswert, Nonsense von geradezu trumpschem Ausmaß (und nebenbei bemerkt ein Schlag ins Gesicht auch all derjenigen, die beim MDR aufwändigen seriösen Journalismus betreiben). Auf der Beziehungsebene leistet Göring-Eckardt hier ein Maß an Selbstverleugnung einer demokratischen Partei mit ernsthaften politischen Anliegen, dem jeder Respekt vor sich selbst, aber auch vor ihren Wählern fehlt. Das kann nicht gewollt sein und es spielt verheerend mit der wichtigsten Ressource demokratischer Werbung: Glaubwürdigkeit, die, das wissen wir seit Aristoteles und Cicero, eben gerade da, wo es um die Existenz, auch um die politische Existenz geht, die einzige scharfe Waffe ist, die einem bleibt.
Populisten können Demokratien nur dann zerstören, wenn es ihnen gelingt, das politische – und das heißt auch, das kommunikative – Verhalten der Demokraten nachhaltig zu verändern. Wir müssen hoffen, dass wir auf diesem Weg noch nicht so weit sind, wie es der Wahlkampf um „Omas Schlagerwelt“ befürchten lässt. Vielleicht wird man sagen, das Ganze mit dem Schlager und der Oma sei mit einem ironischen Augenzwinkern und als potenziell viralisierbarer Social Media Gag zu verstehen. Einmal abgesehen davon aber, dass ironisches als uneigentliches Sprechen erkennbar gemacht werden muss, wo das der Kontext nicht ausreichend sicherstellt: Ist für so etwas wirklich der richtige Zeitpunkt für gerade diese Partei und eine ihrer Spitzenpolitikerinnen, die immer wieder halbherzig darauf hinweist, selbst Ostdeutsche zu sein?
Wahlkampfkommunikation ist strukturell Kommunikation aus einer Position der Schwäche, weil die Wahl der Moment ist, in dem in Demokratien die Bürgerinnen und Bürger die in der Regel delegierte unmittelbare Macht vorübergehend zurückerhalten. Wer aber dabei zum Souverän nicht in einer Weise spricht, mit der er die Wahl, wenn es sein muss, gegebenenfalls in Würde verlieren kann, der wird auch die nächste nur schwerlich gewinnen.
Kersten Sven Roth
Hinweis:
Das Format AlGf-Zwischenruf will pointiert Perspektiven der linguistischen Gesellschaftsforschung aufzeigen. Es handelt sich um persönliche Anmerkungen des zeichnenden Mitglieds aus dem AlGf-Team.
Übersicht
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