AlGf Zwischenruf: Die Fahne auf dem Zirkuszelt
AlGf Zwischenruf (7. Juli 2025)
Die Fahne auf dem Zirkuszelt - mal wieder geht es um Sprache
Der Bundestag sei ja nun kein Zirkuszelt, hatte Friedrich Merz bei Maischberger verkündet und so die Weigerung der CDU-Bundestagspräsidenten Julia Klöckner gegen das Hissen der Regenbogenfahne auf dem Reichstagsgebäude zum CSD unterstützt. Und diese Metapher schlug in den letzten Tagen hohe Wellen im medialen Diskurs. Kritik richtet sich sowohl gegen die Entscheidung selbst als auch gegen die Worte, mit denen sie begründet wurde, auch wenn das im medialen Diskurs selten unterschieden wird. Genau diese Unterscheidung wäre nun aber essentiell. Denn genau hier müsste man nach der Grenze zwischen konservativer Einstellung und Rechtspopulismus suchen.
Ohne Frage: Die Zirkuszelt-Metapher ist abwertend gegenüber queeren Menschen. Sie suggeriert, die Pride-Bewegung, die ihren Stolz auch daraus bezieht, einer enorm tief verwurzelten Diskriminierung die Stirn zu bieten, sei eine Spaß-Bewegung. Merz reproduziert damit genau die lange praktizierte Marginalisierung und Trivialisierung einer emanzipatorischen Bewegung, die aber keine trivialen Ziele hat. Das trifft all diejenigen, die sich für gleiche Rechte einsetzen.
Doch es gibt auch ein „Aber“: Der CSD als Protestveranstaltung nutzt tatsächlich Praktiken und Mittel, die einer Spaßkultur entstammen. Er ist mit den DJs und dem Tanz voller Disco-Elemente und mit den vielen Kostümen und pompösen Paraden auch voll von Elementen des Karnevals. Der CSD sieht aus wie eine Spaßveranstaltung, nur macht ihn das überhaupt nicht trivial. Gerade diese bunten, lauten, pompösen und karnevalesken Mittel der Pride-Bewegung bergen subversives Potenzial. Sie generieren Sichtbarkeit und machen queere Menschen im wahrsten Sinne des Wortes hörbar. Sie werden zu einem gewissen Grad in jeder Protestbewegung und bei jeder Demonstration traditionell zum „Stören“ der öffentlichen Ordnung eingesetzt und zwingen zur Wahrnehmung.
Nun ist es aber eine legitime Frage, ob Protestpraktiken einen Platz in politischen Institutionen haben sollten. Denn Protest adressiert ja die etablierte Politik und die sich verschließende Öffentlichkeit, vor der man sich sicht- und hörbar machen möchte. Es scheint absurd, wenn die Adressaten des Protests eben jenen begrüßen.
Das Parlament, wie es vor der neuen Bundestagspräsidentin Julia Klöckner geführt wurde, hat der queeren Community durch das Hissen der Fahne zumindest signalisiert, dass sie gesehen wird und dass ihre Anliegen repräsentiert werden. Auch das zeigt, dass die Regenbogenfahne als Symbol den Wirkungskreis von queeren Straßenfesten und Protestzügen längst verlassen hat. Sie ist zu einem durch und durch politischen Symbol einer Einstellung geworden. Nun soll sie aber gerade zum CSD gehisst werden. Und daher steht sie tatsächlich wieder im Kontext einer Protestbewegung. So ist schließlich die Frage, ob die Fahne ausgerechnet zum CSD auf dem Bundestag gehisst werden sollte, eine legitime politische Frage, an der sich konservative und progressive Geister scheiden könnten.
Leider hat Merz seine Haltung so nicht begründet. Er hat sich stattdessen dafür entschieden, der homophoben Rechten das Wort zu reden. Mit der Zirkuszelt-Metapher ignoriert Merz das Symbolische. Er erkennt das Politische der Pride-Bewegung nicht an und degradiert sie dadurch zu einer Spaßveranstaltung. Er macht also genau das, was die AfD typischerweise tut und stigmatisiert queere Menschen als Exoten. Einmal mehr sind es nicht die Taten, es sind die Worte, die den schmalen Grad von klarer konservativer Positionierung zu rechtem Populismus überschreiten.
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Kristin Kuck
Hinweis:
Das Format AlGf-Zwischenruf will pointiert Perspektiven der linguistischen Gesellschaftsforschung aufzeigen. Es handelt sich um persönliche Anmerkungen des zeichnenden Mitglieds aus dem AlGf-Team.
Übersicht
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