AlGf im Interview
Entscheiden Wörter Wahlen?
Was hat Sprache mit Rollkragenpullovern gemeinsam?
Zu Fragen wie diesen: zwei Interviews aus der AlGf zum Nachhören und Nachlesen.
Wie formt Sprache Gesellschaft?
Unter diesem Titel sprach der Deutschlandfunk in der Sendung "Campus & Karriere" mit dem Leiter der AlGf, Prof. Dr. Kersten Sven Roth, über die Perspektiven der linguistischen Gesellschaftsforschung, Themen wie den Impfdiskurs oder den Unterschied im Sprechen über Ost- und Westdeutschland und darüber, was die Frage "Gendern oder nicht?" mit der Wahl der richtigen Kleidung zu tun hat.
Anlass war der Start der AlGf Ende Februar.
Hier das ganze Interview zum Nachhören!
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Sprache im Wahlkampf des Superwahljahres 2021
2021 ist Superwahljahr. Neben dem Bundestag Ende September werden 6 neue Landesparlamente gewählt, in Sachsen-Anhalt voraussichtlich am 6. Juni. Wahlen im Coronajahr - nicht nur inhaltlich wird die Pandemie den demokratischen Prozess beeinflussen. Auch der Wahlkampf wird ein gänzlich anderer sein, wird erstmals in digitale Kommunikationskanäle und virtuelle Formate ausweichen müssen. Welche Folgen das für die Parteien und Wähler:innen hat, welche sprachlichen Mittel typisch sind für Wahlprogramme und -slogans und wie überhaupt Sprache Politik machen kann, darüber hat Katharina Vorwerk mit Prof. Dr. Kersten Sven Roth und Dr. Kristin Kuck von der Germanistischen Linguistik der Uni Magdeburg gesprochen, die dort die neu gegründete Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung leiten.
Fünf Fragen daraus an dieser Stelle - das ausführliche Interview zum Nachlesen gibt es hier.
Dünnhaupt/OVGU Presse
Gibt es Metaphern oder Rhetoriken im Wahlkampf, die sich seit vielen Jahrzehnten nie geändert haben und immer wieder neu benutzt werden?
Dr. Kuck: Es gibt einen großen gemeinsamen Fundus an Metaphern, mit dem wir uns in der Welt verorten und der seit der Antike stabil besteht. Der Staat kann als Körper oder als Schiff dargestellt werden, das sich auf dem Weg zu einem Ziel befindet. Das Ziel wird in der Idealvorstellung von der Gesellschaft bestimmt und von Parteien vertreten, die den Weg dorthin kennen, den „Kurs“ setzen und das Schiff steuern. Mit dem technischen Fortschritt kamen weitere Vehikel in diese Metapher: So kann der Staat auch ein Zug oder Auto sein. Aber das Bild bleibt das gleiche. In der Pandemie haben wir gehört, dass wir „auf Sicht fahren“ oder „im Nebel herumstochern“, „uns vortasten“ oder auch, dass wir „das Ufer nicht sehen“. Das sind also Navigationsprobleme, die eigentlich immer in Krisendiskursen zum Thema werden. Die Schiffs-Metapher erlaubt auch eine klare Zuordnung, wer dazu gehört und wer nicht. So wurde sie zum Beispiel von rechten Ideologen in dem Slogan „Das Boot ist voll“ in der Asyldebatte der 90er Jahre genutzt.
Gibt es für die Parteien einen Wahlkampf Ost und einen West?
Prof. Roth: Dass es die in den 1990er Jahren gab, steht außer Zweifel. Inwiefern es diesen Unterschied heute noch gibt, ist eine spannende Frage und etwas, das wir in diesem Superwahljahr mit Wahlen in Ost-, West- und Gesamtdeutschland auch aus Sicht der linguistischen Gesellschaftsforschung im Blick behalten wollen. Zu vermuten ist, dass es zum einen andere thematische Akzente gibt. Dass die Position der Parteien zum Diesel etwa in der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt so thematisiert wird wie in den Kampagnen mancher Parteien im Autoland Baden-Württemberg ist eher unwahrscheinlich. Wir befassen uns aber gerade auch mit einer anderen Frage: Inwiefern funktionieren möglicherweise dieselben sprachlichen Formate aus den Wahlkämpfen in Ost und West unterschiedlich? Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Sprachgebrauchsgeschichte ist zum Beispiel anzunehmen, dass ein politisches Schlüsselwort wie „Volk“ auch dann unterschiedlich verstanden wird, wenn es dieselbe Partei im selben Slogan verwendet. So etwas können Parteien natürlich auch gezielt einkalkulieren.
Sie sagten im Vorfeld, die Folgen der Pandemie werden die Wahlprogramme nicht nur thematisch bestimmen, sondern auch einen bisher nicht gekannten Einfluss darauf haben, wie um die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger geworben wird. Inwiefern?
Prof. Roth: In Deutschland hat der Straßenwahlkampf immer eine relativ große Rolle gespielt: eine Form des Wahlkampfs also, bei der die Kandidatinnen und Kandidaten in den Fußgängerzonen und an den Haustüren versuchen, in einer Vielzahl persönlicher Interaktionen um Zustimmung zu werben und dort auch wichtige Rückmeldungen erhalten von den Bürgerinnen und Bürgern. Für die Idee des Wahlkreisabgeordneten spielt das durchaus eine gewichtige Rolle und es findet im realen öffentlichen Raum der Städte und Dörfer statt. Das fällt ebenso wie die großen Wahlversammlungen, in denen man die eigenen Anhänger einschwört, in diesem Jahr weitgehend weg. Es verlagert sich in digitale Kommunikationsformate. Dazu gehören aufwändige und durchaus öffentliche Kommunikationsformen wie die digitalen Parteitage, die es inzwischen gegeben hat. Aber es spielen eben zunehmend auch solche Kanäle eine Rolle, die nicht mehr in derselben Weise öffentlich sind, etwa Messenger-Gruppen und ähnliches. Hier haben natürlich diejenigen Parteien einen Vorteil, die darin geübt sind und deren Klientel eine gewisse Affinität für die digitalen Medien hat.
Die CDU in Sachsen-Anhalt nennt die AfD den „größten Gegner“, die SPD verspricht einen „verdammt geilen Wahlkampf“ für „Zusammenhalt und neue Chancen“, Grüne alliterieren „Mut macht morgen“ und die FDP möchte „Lust auf Fortschritt“ und „Politik, die rechnen kann.“ Was hören Sie als linguistischer Wahlkampfbeobachter aus diesen ersten Zwischenrufen heraus?
Dr. Kuck: Da hören wir vor allem die Kernthemen der Parteien, die noch sehr allgemein und grundsätzlich formuliert sind. Außer bei der CDU. Die arbeitet seit der Thüringen-Wahl letztes Jahr hart daran, sich nach rechts abgrenzen. Die SPD kreist mit „Zusammenhalt“ und „Chancen“ um ihr Thema „Solidarität“, die Grünen besetzen weiterhin das Thema „Zukunft“, dass sie aber im Sinne von „Nachhaltigkeit“ und „Kampf gegen den Klimawandel“ verstehen. Die FDP hat das Thema Zukunft auch besetzt, allerdings ist es mit technischen Neuerungen und Digitalisierung verknüpft. Ein zweites Kernthema der FDP ist „der schlanke Staat“ (Körpermetapher!), der als positiv besetztes Bild für Einsparungen im öffentlichen Sektor und für Privatisierung steht. Der Slogan „Politik, die rechnen kann“ ist schon ein paar Jahre alt und knüpft an dieses Thema an. In allen Slogans, die Sie nennen, ist bisher noch wenig Landesbezug zu sehen.
Werden Wahlen durch Sprache entschieden?
Prof. Roth: Das kommt drauf an, was man unter Sprache versteht. Den Einfluss von Schlagwörtern oder Slogans auf tatsächliche Wahlentscheidungen würde ich nicht überbewerten. Jedenfalls nicht angesichts des Trends der letzten Jahre, im Wahlkampf auf eine weitgehend politisch entleerte Sprache zu setzen, wie man ihn zumindest in Westdeutschland seit längerem beobachten kann. In Rheinland-Pfalz hat Malu Dreyer einen großen Erfolg mit dem inhaltsleeren Slogan „Wir mit ihr“ errgungen, in Baden-Württemberg Winfried Kretschmann mit „Sie kennen mich“. Das wird durch den ironischen Bezug auf die frühere Kampagne Angela Merkels nicht programmatischer. Entscheidender für Wahlentscheidungen – und auch die Entscheidung, überhaupt zu wählen oder eben nicht – sind sicherlich Einstellungen, Weltbilder, Selbst- und Fremdbilder und Erfahrungen. Da würden wir aus Sicht der linguistischen Gesellschaftsforschung allerdings sagen: Das sind eben auch alles sprachgebundene Phänomene. Insofern versteht man tatsächlich auch Wahlergebnisse besser, wenn man Sprache und Diskurse analysiert hat.
Das ganze Interview unter: https://www.ovgu.de/wahlenundworte.html
Übersicht
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- 23.05.2024: Personeller Zuwachs und Podcast-Projekt
- 20.10.2023: AlGf Zwischenruf: Kampf um Glaubwürdigkeit
- 05.07.2023: AlGf Zwischenruf: Die Chance eines beinahe übersehenen "Trotzdem"
- 15.04.2023: AlGf Zwischenruf: Lasst uns über den Westen reden!
- 21.12.2022: Was uns 2022 beschäftigt hat...
- 30.09.2022: Zum Tag der Deutschen Einheit: Wir müssen ein Gespräch über den Westen beginnen...
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- 16.05.2022: Sprache und Krieg - Antwortversuche der Linguistischen Gesellschaftsforschung
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- 04.08.2021: "Im Gespräch bleiben" - Einladung zur 1. AlGf-Tagung (7.10.2021)
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- 19.05.2021: AlGf Zwischenruf: Nur linguistische Belege?
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- 24.03.2021: AlGf im Interview
- 03.03.2021: AlGf Zwischenruf: Herausforderung Impfdiskurs
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