AlGf Zwischenruf: Gott* ist auch nur ein Mann
AlGf Zwischenruf (1. November 2021)
Gott* ist auch nur ein Mann
Die katholische junge Gemeinde (KjG) möchte Gott gendern, berichtet die Presse auf der Basis einer dpa-Meldung (z.B. auf Spiegel Online). Bei der Schreibweise diskutiere man über die Versionen Gott* oder Gott+ und als Ziel nennt Bundesleiterin Rebekka Biesenbach, „das an vielen Stellen sehr männlich geprägte Gottesbild in die Vielfalt zurückzubringen, die es verdient“. Das Vorhaben legt eines der größten Missverständnisse offen, die derzeit über das Gendern im öffentlichen Diskurs herrschen – die Vorstellung nämlich, man könne ein männlich geprägtes Konzept, also die Vorstellungs- und Inhaltsseite eines Wortes, allein dadurch ‚entmännlichen‘, dass man den Ausdruck gendert. So einfach ist das jedoch nicht.
Die KjG lehnt erkennbar eine binäre Geschlechtervorstellung ab, sonst wäre es ja naheliegend gewesen, Gott zu einer Göttin zu machen. Weil es einfacher ist und doch immer noch hinreichend komplex, wollen wir hier aber bei der Frage bleiben, wie der Gott der katholischen Kirche sprachlich weiblicher werden könnte und warum das schlichte Gendern dabei nicht helfen kann:
Wer eine Gruppe von Personen zum Beispiel als Heimwerker*innen oder als Katholik*innen bezeichnet, macht dadurch sichtbar, dass sich in dieser Gruppe zumindest Männer und Frauen befinden. Beide Geschlechter sind sprachlich repräsentiert und können mitgedacht werden. Auf Dauer kann das tatsächlich bewirken, dass männliche Personen nicht mehr automatisch als Normalfall und weibliche Vertreterinnen nicht mehr als markierte Abweichung verstanden werden.
Befindet sich in der bezeichneten Gruppe jedoch gar keine Frau, wie das zum Beispiel im Falle katholischer Priester oder auch unter den Namensgebern deutscher Universitäten der Fall ist, dann würde das Gendern eine Vielfalt vortäuschen, die gar nicht existiert. Einer der Vorteile des Genderns besteht ja gerade darin, mit dem Maskulinum eindeutig auch auf rein männliche Gruppen verweisen zu können. Das kann dem Ruf solcher Gruppen durchaus schaden. Vielfalt bringt heute in vielen Fällen Prestige, und Diversität ist längst auch dort ein angestrebter Hochwert, wo sie traditionell nicht erfüllt ist.
Bezeichnet man hingegen ein menschliches Individuum, stellt dessen Zuordnung zu einem Geschlecht meist kein Problem dar: Die Sprache bietet uns ja die Möglichkeit, das jeweilige Geschlecht mit auszudrücken, indem wir eben die entsprechende grammatische Form wählen. Niemand kritisiert, dass der männliche Professor an einer Universität nicht mit Professorin betitelt wird – möglicherweise aber sehr wohl, dass es dort zu wenige weibliche Professorinnen gibt. Eine vorwiegend männliche Professorenschaft wird eben nicht weiblicher, indem man sie gendert.
Und der christliche Gott? Der passt theologisch gesehen vermutlich weder in biologische noch in soziale Geschlechterkategorien. Genau das Gegenteil aber legt nun die KjG in ihrer Argumentation nahe. Wenn sie anführt, „dass Gott nicht automatisch als alter weißer Mann mit Bart gedacht werden könne“ und stattdessen einen Ausdruck vorschlägt, der genau auf der Ebene solcher Kategorien menschlicher Vielfalt liegt, ermöglicht sie ja gerade nicht, das Göttliche jenseits überkommener sozialer Ordnungen zu denken. Der Vorschlag der laut Meldung als „politisch eher links“ geltenden katholischen Jugendorganisation geht an ihren Intentionen damit vollkommen vorbei, weil er das Gottes-Konzept selbst nicht berüht, das in einem mehr als 2000 Jahre alten ebenso mächtigen wie komplexen Diskurs zweifellos männlich geprägt wurde. Nicht zuletzt auch die katholischen Vorstellungen über die unterschiedlichen Rollen, Anlagen und Verpflichtungen von Frauen und Männern in einer christlichen Gesellschaft basieren ja letztlich auf ihm.
Die jungen Katholik*innen müssten also viel tiefer ansetzen. Bei aller Verlockung des ausdrucksseitigen als des einfacheren Wegs: Gott mit Gendersternchen böte – leider – bestenfalls Pinkwashing.
Kristin Kuck
Hinweis:
Das Format AlGf-Zwischenruf will pointiert Perspektiven der linguistischen Gesellschaftsforschung aufzeigen. Es handelt sich um persönliche Anmerkungen des zeichnenden Mitglieds aus dem AlGf-Team.
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