Diskursmacht sieht anders aus – der Wahlkampf der Magdeburger CDU
Magdeburg, bekanntlich Sitz der AlGf, ist derzeit Schauplatz eines doppelten Wahlkampfs: Am 09.06. steht hier neben der Europawahl auch die Kommunalwahl an und die Stadt ist entsprechend tapeziert mit den Losungen der Parteien. Zwei Slogans für die Kommunalwahl von CDU und AfD fallen wegen ihrer Intertextualität besonders auf. An ihr wird der Kampf um Diskursmacht exemplarisch deutlich, den diese beiden Parteien derzeit ausfechten.
Der Leitslogan der CDU Magdeburg lautet Magdeburg zuerst. Mit ihm wird zunächst einmal explizit gefordert, Magdeburg zu priorisieren. Im Vergleich wozu? Das wird nicht gesagt und dürfen sich alle, die das Plakat lesen, jeweils selbst überlegen. Ob das eine andere Stadt ist wie Halle oder Stendal, andere Landeshauptstädte, der Bund oder die EU, was auch immer: Als Forderung bzw. Wahlversprechen impliziert der Slogan, dass Magdeburg sich in einer Konkurrenzsituation befinde und für die derzeitige kommunale Politik nicht an erster Stelle stehe.
Über die wörtliche Interpretation hinaus ergeben sich durch die intertextuelle Ebene des Slogans allerdings noch zusätzliche Bedeutungen: Analog zu dem inspirationsgebenden Text – dem Trump-Slogan America First – bietet sich eine protektionistische Lesart an: Magdeburger Interessen sollten vorangestellt und rücksichtslos durchgesetzt werden, die Probleme anderer oder der Welt seien zweitrangig und beträfen Magdeburg nicht. Trumps America First beinhaltet zudem ein rassistisches, exkludierendes Verständnis von Bürgerschaft. Mit der intertextuellen Referenz lässt die Magdeburger CDU auch anklingen, dass es ihr vor allem um die Probleme ‚alteingesessener‘ Magdeburgerinnen und Magdeburger gehe.
Unverkennbar populistisch ist der Slogan also in jedem Fall. Da America First aber außerdem untrennbar mit Donald Trump selbst verknüpft ist, legitimiert Magdeburg zuerst zudem implizit Trumps menschenfeindliche, antidemokratische Verhaltensweisen und Rhetorik und macht sich ein Stück weit mit ihnen gemein. Vermutlich wird die CDU Magdeburg eine solche ideologische Nähe zum Trumpismus weit von sich weisen – trotzdem nimmt sie diese Assoziationen durchaus ganz bewusst in Kauf. Ihr Kreisvorsitzender Tobias Krull begründete diese Entscheidung damit, „Resonanz […] erzeugen“ zu wollen. Der Slogan sei intern auch kontrovers diskutiert worden, einerseits als „provozierend“ – hier im positiven Sinne als ‚Aufmerksamkeit erregend‘ gemeint – befürwortet, andererseits als „zu populistisch“ kritisiert worden.
Laut Krull wolle die Partei damit sowohl „klassische“ als auch „neue Wählergruppen“ erreichen. Nun wird sie die Stammwählerschaft der Grünen oder der SPD mit diesem Slogan vermutlich nicht gewinnen – im Gegenteil. Mit „neuen Wählergruppen“ scheint gemeint: Die CDU will ganz offensichtlich der AfD Konkurrenz machen.
Der Slogan dient also nicht vorrangig dem prägnanten Ausdruck politischer Inhalte, sondern dazu, eben mit seiner intertextuellen Botschaft diejenigen zu locken, denen die kalkulierte Provokation als solche gefällt. Dass er auch antidemokratische und menschenfeindliche Konnotationen transportiert, war für den Kreisverband kein Ausschlusskriterium. Damit imitiert die CDU Magdeburg disruptive Diskurstrategien der AfD – und dies nicht nur abstrakt, sondern ganz konkret: Die Bundes-AfD wirbt derzeit mit dem Slogan Unser Land zuerst.
Das Original ist jedoch immer einen Schritt weiter als die Kopie und so treibt es die AfD Magdeburg unterdessen mit ihrem Wahlkampfslogan für die Kommunalwahl noch weiter auf die Spitze: Ihr Slogan Alles für Magdeburg! ließe sich zunächst einmal ganz ähnlich dem CDU-Slogan als Forderung lesen, sich selbst bestmöglich für Magdeburg einzusetzen, oder auch dafür, alle Ressourcen auf Magdeburg zu konzentrieren. Aber: Form hat Bedeutung und diese Formulierung verweist auf eine seit einiger Zeit öffentlich vehement diskutierte Parole: Alles für Deutschland. Dies war die zentrale Losung der SA und ist heute aufgrund ihrer historischen Verwendung in Deutschland verboten. Björn Höcke, der thüringische Landesvorsitzende der AfD, wurde Mitte Mai unter großer Medienaufmerksamkeit wegen des Gebrauchs dieses Slogans zu einer Geldstrafe verurteilt. Man darf also davon ausgehen, dass der AfD Magdeburg diese Parallele bekannt ist. Sie setzt die Polemik bewusst fort.
Diese Slogans werden zu einer Zeit gewählt, in der die AfD seit einiger Zeit in Umfragewerten teilweise bundesweit als zweitstärkste Partei abschneidet und in Sachsen-Anhalt nur denkbar knapp hinter der CDU liegt. Und dies trotz oder wegen genau solcher rhetorisch kalkulierter Eklats wie dem Inanspruchnehmen von NS-Parolen oder der als gesichert rechtsextrem eingestuften Gesinnung einiger Landesverbände – wie etwa dem Sachsen-Anhalts. Dass sich die CDU Magdeburg durch intertextuelles Referieren derart mit antidemokratischen, menschenfeindlichen Gesinnungen in Verbindung bringt und so bewusst provoziert, ist von daher ein mehr als gefährlicher Beitrag zu dieser Eskalation und eine riskante Annäherung an die disruptiven, antidemokratischen Diskursstrategien der AfD, die dadurch weiter normalisiert werden.
Wer jeden diskursiven Eskalationsschritt der radikalen Rechten früher oder später mitgeht, ermöglicht ihr wohlfeil den nächsten und wird dabei doch immer das Nachsehen haben. Demokratische Diskursmacht sieht anders aus.
Elena Bernhofer
Hinweis:
Das Format AlGf-Zwischenruf will pointiert Perspektiven der linguistischen Gesellschaftsforschung aufzeigen. Es handelt sich um persönliche Anmerkungen des zeichnenden Mitglieds aus dem AlGf-Team.