Warum uns 'das N-Wort' nicht weiterhilft

Jemanden als ‚Neger‘ zu bezeichnen ist rassistisch. Immer. Warum das so ist, muss wirklich niemandem mehr erklärt werden (außer Kindern). Unmarkiert ist es schon sehr lange nicht mehr im Gebrauch. Wer es verwendet, weiß, dass er rassistisch spricht. Aber gilt das auch, wenn wir über die rassistische Bedeutung des Wortes sprechen möchten?

Annalena Baerbock hat in einem Interview das Wort ‚Neger‘ zitiert, dieses in der Tonspur anschließend mit einem Piepton überspielen lassen und sich über Twitter ausgiebig dafür entschuldigt, das rassistische Wort „selbst reproduziert“ zu haben.

Zu Unrecht. Das Wort selbst muss in einem sprachkritischen Kontext aussprechbar bleiben.

Sprechen heißt handeln. Deshalb sind rassistische Äußerungen rassistische Taten, die sprachlich begangen werden. Baerbock und alle, die rassistische Äußerungen anklagen möchten, stehen so vor einem vermeintlichen Referenz-Problem: Es entsteht der Eindruck, man würde durch das Benennen der (sprachlichen) Tat die Tat selbst wiederholen.

Dieses Dilemma aber ist nur ein vermeintliches. Denn nicht ‚Neger‘ AUSZUSPRECHEN ist die rassistische Tat, sondern ‚Neger‘ zu BENUTZEN, es im aktiven Wortschatz zu pflegen, es zur Bezeichnung von Menschen zu verwenden, anstatt eines der vielen anderen Wörter, die wir dafür haben – ‚Mann‘, ‚Frau‘, ‚Person‘, ‚Mensch‘ oder was auch immer gerade gemeint ist.

Referenz bedeutet in der Linguistik, dass man mit einem sprachlichen Ausdruck auf etwas Bezug nimmt, das nicht der sprachliche Ausdruck selbst ist. Wer sagt ‚Vorsicht, da kommt ein Auto‘ warnt nicht vor der Buchstaben- oder Lautfolge A-U-T-O, sondern eben vor jenem konkreten Gegenstand, der da die Straße entlang gerollt kommt. Mit ‚Das Auto an sich ist ein großes Umweltproblem‘ warnt er vor einer ganzen Kategorie. Ein sprachlicher Ausdruck referiert also auf einen konkreten Gegenstand, eine Klasse von Gegenständen und auf eine (auch wertende) Vorstellung von dem Bezeichneten.

Damit sind die Verwendungsmöglichkeiten aber noch nicht ausgeschöpft. Das Zeichensystem Sprache bietet noch eine ganz spezifische und für den gesellschaftlichen Diskurs besonders wertvolle Option: ihre metasprachliche Verwendung. Hier referiert das sprachliche Zeichen nicht auf das, auf das der Ausdruck im Sprachgebrauch referiert, sondern auf das Wort selbst. So können wir über unsere Sprache sprechen – im Alltag, in der Sprachkritik, in der Sprachwissenschaft. Und wenn wir darüber sprechen wollen, welche Wörter wir nicht mehr im Gebrauch haben möchten, dann müssen wir genau diese Wörter als sprachliche Ausdrücke benennen können. Das Wort wiederholt nicht die Tat, es ermöglicht, uns mit ihr auseinanderzusetzen.

Wenn wir schon das schlichte Aussprechen eines Wortes ahnden, dann machen wir es zu einem Tabuwort und verunmöglichen einen aufgeklärten Diskurs. Das zeigt sich bereits in der favorisierten Ersetzung ‚das N-Wort‘. Es handelt sich dabei um einen Kode, der das Wort selbst und die Kenntnis des Wortes zu etwas Anrüchigem macht und stigmatisiert – gleichzeitig aber bleibt es notwendig, das kodierte Wort und seine Bedeutung zu kennen, um ihn überhaupt zu verstehen. Das ist fatal, wenn wir über rassistische Ausdrücke aufklären und die mit ihnen verbundenen Inhalte bekämpfen wollen. Denn ‚das N-Wort‘ zu sagen, erweckt den Eindruck, man gehe auf Nummer sicher, wenn man nur hinter vorgehaltener Hand über den Rassismus des Wortes ‚Neger‘ spricht.  

Das Gegenteil ist der Fall: Wir müssen rassistische Sprache zitieren und analysieren dürfen, um uns darauf verständigen zu können, dass sie nicht tolerabel ist.

Kristin Kuck

 
Hinweis:
Die Rubrik „Zwischenruf“ will pointiert Perspektiven der linguistischen Gesellschaftsforschung aufzeigen. Es handelt sich um persönliche Anmerkungen des zeichnenden Mitglieds aus dem AlGf-Team.

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