Populismus und Emotionen
Auf einer Tagung der Akademie für politische Bildung Tutzing im November 2021 sprach der Leiter der AlGf, Kersten Sven Roth über das Verhältnis von Populismus und Emotion. Seine Kernthese: Nicht am Spiel mit Affekten erkennt man den Populismus, sondern am Verzicht auf Rationalität.
Der "Akademie-Report" fasst den Vortrag in seiner Ausgabe 01/22 folgendermaßen zusammen:
"Auch die politische Sprache im Sinne von Rede und Gegenrede habe stets eine emotionale Konnotation, stellt Kersten Sven Roth (Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg) fest „Jede politische Kommunikation ist persuasive Kommunikation, also Überzeugungskommunikation“. Deshalb ist sie auf Rhetorik und mit ihr auf den intentionalen Gebrauch von Affekten angewiesen. Indem Politik stets Anklang bei Bürgerinnen und Bürgern sucht, vollzieht sie eine Gratwanderung: mit der Gefahr, dass emotionales Sprechen ins populistische Sprechen umschlägt. Um dies zu verhindern, müsse man sich mit Roth an dem aristotelischen Dreiklang von Logos, Pathos und Ethos orientieren: Emotionale Sprache könne sich neben Pathos – im Sinne einer expliziten Affektbekundung – durchaus auch Ethos bedienen. So können „weder Norbert Walter-Borjans noch Olaf Scholz […] Pathos, also an Emotionen und Gefühle appellieren.“ Dennoch seien beide erfolgreiche Redner, da sie Ethos-stark sprechen, also intelligent und glaubwürdig. Und auch Angela Merkels Wahlkampfslogan „Sie kennen mich“ betont Ethos und hat damit eine gewisse Emotionalität inne.
Ob das emotionale Sprechen aber letztlich demokratisch und demokratiezuträglich ist, mache sich an der zusätzlichen Logos-Orientierung fest: So müsse jede erfolgreiche Politikerin und jeder erfolgreiche Politiker in der Kommunikation auch Argumente und Fakten transportieren. Fehlt dieses rhetorische Kriterium, wird eine Rede irrational. „Dem Redner ist es also völlig egal, worum es geht; Hauptsache, das Publikum stimmt ihm zu.“ Dadurch ist die Grenze zum Populismus überschritten.
Denn Populisten sind nicht nur besonders affin für negativ-pathetische Affekte (wie Angst). Vor allem üben sie einen „ jeden Preis vom sog. Establishment und Gruppen außerhalb des ‚wahren Volkes‘ abgrenzen.“ Insofern lasse sich gegen populistische Ideologien ankämpfen, indem man sie zum einen auf den Logos-Gehalt hinterfragt und zum anderen die transportierten Emotionen reflektiert und so den Populisten die wesensnotwendige Affirmation verweigert.
Affekte als solche sind „nichts undemokratisches, sie sind legitim“, stellt Roth fest. Sie helfen Politikerinnen und Politikern dabei, Menschen zu überzeugen; sie bewegen Bürgerinnen und Bürger zur Auseinandersetzung mit Politik und zum politischen Handeln; und sie funktionieren als Vehikel der (unterhalterischen) Vermittlung von Politik – etwa in Form des sog. Politainments.