Kampf um Glaubwürdigkeit
Der terroristische Angriff der Hamas auf Israelis und die anschließende Gegenoffensive Israels zeigen deutlicher denn je, woran wir uns schon längst gewöhnt haben: Jeder Konflikt mit Waffen findet heute sein Echo in einem erbitterten Kampf in den Sozialen Medien – ein Kampf um Informationen, um Deutungshoheit und, damit eng zusammenhängend, um Glaubwürdigkeit, die nicht nur in Überzeugung, sondern, wie im Israel-Palästina-Beispiel, in der Legitimation von Gewalt münden soll. In diesem digital geführten Konflikt muss sich auch der professionelle Journalismus zurechtfinden, ohne sich und seinen Qualitätsanspruch zu verbiegen. Das gelingt nicht immer und zeigt, dass Journalistinnen und Journalisten eine zunehmend problematische Rolle spielen können.
Die Schnelligkeit, mit der Bilder und Informationen entstehen und direkt in Sozialen Medien verbreitet werden, überfordert Userinnen und User sowie Medienschaffende gleichermaßen. Ohne Verifizierung durch unabhängige Beobachter werden diese vielfach geteilt, wie das jüngste Beispiel des Raketeneinschlags in oder bei einem Krankenhaus in Gaza zeigt. Solche und andere Bilder, Aussagen und Informationen dienen, ob verifiziert oder nicht, der Rechtfertigung, der Unterstützung, der Schuldzuweisung, der Aufklärung sowie der Verklärung und Manipulation.
Das ist nicht neu, zeigt(e) sich zum Beispiel bereits in den Social Media-Beiträgen zum Ukraine-Krieg. Und doch kommentierte @zdfheute unter einem eigenen Posting zu dem „Hamas-Großangriff auf Israel“ vom 11.10.2023 „Desinformation und falsche Inhalte auf einem Level, wie Experten es noch nie gesehen haben – das ist das Fazit fünf Tage nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel“. Ein berechtigter Warnruf, der sich nicht nur an Rezipierende, sondern vor allem auch an Produzierende von (digitalen) Inhalten richten sollte.
Desinformation hat dann Erfolg, wenn die Accounts, die sie teilen, von Userinnen und Usern als glaubwürdig eingeschätzt werden. Beim Kampf um Glaubwürdigkeit spielt eine Strategie immer wieder eine besondere Rolle: der Versuch, die eigene Glaubwürdigkeit zu erhöhen, indem man sie der anderen Seite abspricht. Aus linguistischer Perspektive stellt sich die Frage: Woran wird Glaubwürdigkeit unter den besonderen Bedingungen digitaler Diskurse von den Beteiligten eigentlich festgemacht? Das lässt sich vor allem ex negativo beschreiben: Wie wird Unglaubwürdigkeit begründet? Am Beispiel der öffentlich-rechtlichen Medien zeigt sich der Vorwurf der Unglaubwürdigkeit oft, indem ihnen Einseitigkeit unterstellt wird. In den Kommentarbereichen von @zdfheute und @ard liest sich das beispielsweise so: „Kein Wort davon, dass X“, „Wo ist eure Kritik an X?“, „Warum sprecht ihr nicht auch über X?“, „Wieso zeigt ihr nicht X?“, „Ihr und eure ‚Faktenchecker‘ verbreitet doch selbst regelmäßig Fake News […]“.
Diese Glaubwürdigkeitskrise journalistischer Medien hängt ganz unmittelbar mit dem Bedeutungsgewinn der Sozialen Medien zusammen und wird erst durch die Möglichkeit direkter öffentlicher Anschlusskommunikation in dieser Form möglich und sichtbar. Wer seine Informationen eher über Soziale Medien bezieht, hält sie zunehmend für glaubwürdiger – und wer die Sozialen Medien für glaubwürdig hält, macht sie zu seiner bevorzugten Informationsquelle.
Dabei bieten ihre Funktionsweise und Struktur den Sozialen Medien einen entscheidenden Vorteil gegenüber den journalistischen Medien. Aus unserer Alltagserfahrung sind wir gewohnt, Glaubwürdigkeit an Personen festzumachen. Persönliche Accounts, wie sie uns auf X, Instagram und Co. begegnen, haben so, wenn sie nur aus unserer eigens zusammengestellten „Blase“ stammen, viel leichteres Spiel, unser Vertrauen zu gewinnen, als die am Ende immer institutionelle Kommunikation journalistischer Medien.
Längst hat der professionelle Journalismus das erkannt. Um eine Voice im Diskurs zu erhalten, die von möglichst vielen gehört wird, nutzen viele Medienschaffende deshalb inzwischen selbst die Sozialen Medien. Etwa jene Journalistin und Menschenrechtsaktivistin mit knapp über 94.000 Followern, die in ihrer Instagram-Story schreibt: „[…] bitte unterstützt unsere Arbeit, indem ihr mit dem Content interagiert (quickreactions, Nachrichten schreiben (egal welcher Inhalt), Stories verschicken, Screenshots machen und teilen, die Accounts teilt und so weiter. Die Aufmerksamkeit darf nicht schwinden.“
Das ist ein gefährliches Spiel, denn es stützt die Produktions- und Rezeptionslogiken der Sozialen Medien: Es geht in erster Linie um die quantitative Erhöhung der Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit. Das mag aus der Perspektive einer subjektiv ‚guten Sache‘ gerechtfertigt erscheinen, geht allerdings zu Lasten des Anspruchs auf eine objektive Kontrollierbarkeit durch Multiperspektivität und Faktenchecks auf der Basis verschiedener Quellen, die professionellen Journalismus ausmachen. Journalistische Qualitätsstandards werden dadurch im digitalen Wettkampf um die personale Glaubwürdigkeit geopfert und die Sozialen Medien als Informationsforen weiter gestärkt. Mit Blick auf den demokratischen Diskurs ist das ein Spiel mit dem Feuer.
Vanessa Kanz