Begriffe in Unordnung - Über Schuldige und Dienstleister

In diesen Tagen, in denen der Zerfall einer Regierung zu verarbeiten ist, lohnt es sich, eine alte Weisheit in Erinnerung zu rufen, die allgemein Konfuzius zugeschrieben wird. Auf die Frage, was er wohl als erstes in Angriff nähme, würde der Fürst ihm die Regierung übertragen, soll er geantwortet haben: „Sicherlich die Richtigstellung der Begriffe.“ Über eine weit gespannte Argumentationskette folgt die Erläuterung, warum aus der präzisen Sprache die gerechte Ordnung und die gute Politik für die Menschen folgt.

Wie steht es um die Begriffe, mit denen eine erschreckend ratlos wirkende Berliner Politik, aber auch die einschlägige Presse dieser Tage zu überzeugen und Ordnung zu schaffen versucht? Nicht allzu gut, möchte man sagen. So irritiert beispielsweise, wie oft in den vergangenen Tagen zwischen den Akteuren und von den Beobachtern die Frage diskutiert wurde, wer nun Schuld habe am Ampel-Aus.

Schuld? Ist das der richtige Ausdruck und die passende Kategorie? Die nun zerbrochene Regierung war die vermutlich unbeliebteste und am wenigsten respektierte der bundesrepublikanischen Geschichte. Ampel ist inzwischen, von der AfD forciert und von Merz und Söder befördert, zum Synonym für ‚die da oben‘, für unfähige und böse Politiker geworden. Viele sehnten, aus ganz unterschiedlichen Gründen, ihr Ende herbei. Kann man jemandem die „Schuld“ zuweisen an der Beseitigung von etwas, das fast niemandem etwas wert war – ob zurecht oder nicht? Aus Sicht der linguistischen Sprechakttheorie schwer vorstellbar, es fehlen alle Voraussetzungen. Oder ist das die Art von Schulddiskussion, die man aus dem Rosenkrieg gescheiterter Ehepaare kennt? Nein, so viel Kreisen um sich selbst will man den ehemaligen Koalitionären nicht unterstellen.

Die Art und Weise, wie ein doch weiterhin amtierender Kanzler und ein sich sichtbar betroffen durch die „Was nun?“-Sendung schleppender FDP-Vorsitzender mit ihrer unscharfen Positionierung zwischen Staatsverantwortung und begonnenem Wahlkampf kommunizieren, ist bestenfalls dilettantisch. Eher wohl ist sie gefährlich. Das Sandkastenspiel um die Frage, wer der Böse sein könnte in diesem gescheiterten Versuch gemeinsamer Verantwortungsübernahme ist dem nicht angemessen, was auf dem Spiel steht – an einem Tag, an dem in den USA ein vorbestrafter Clown mit offen verfassungsfeindlichen Ideen zum zweiten Mal zum Präsidenten gewählt wurde und in Sachsen fast gänzlich unbeachtet hinter all den politischen Katastrophen eine einigermaßen solide Regierungsbildung gescheitert ist an der Logik einer One-Woman-Show.

Da kam diese Woche noch ein zweites Wort ins Spiel. Gesprochen von einem, der gerade ein wenig in der Rolle des Aufrechten, des Sachorientierten, des Uneitlen erscheint: Volker Wissing, der aus einer Partei austritt, deren Werten er sich ausdrücklich weiterhin verpflichtet fühlt, nur um mitzuhelfen, das Land stabil zu halten. Das Wort heißt „Dienstleistung“ und die Sentenz, in der es gefallen ist, im Gastbeitrag für die FAZ wenige Tage vor dem Koalitionsbruch, führt uns zurück zum Anfang und der Frage, was gutes Regieren ist. Sie lautet: „Regieren ist eine Dienstleistung“.

Das klingt gut. Bescheiden, dem Souverän verpflichtet, eben: dienend. Und doch sind auch hier, schaut man genauer hin, Begriffe durcheinandergeraten. Dienen ist Unterordnung und wenn es freiwillig geschieht, eine Art Opfer für die Gemeinschaft. So ist es verwendet in Ausdrücken wie Staatsdiener, Dienst am Vaterland, Diener des Volkes. Der Dienstleister aber verfolgt eigene Ziele und sein Handeln folgt der Logik des Tauschs. Dienstleistung steht jederzeit zur Disposition, der Vertrag kann gekündigt werden, wenn sich die Interessen der Beteiligten ändern. Dienstleistung ist zeitlich befristet und einer fernen Zukunft nicht verpflichtet. Dienstleistung ist genau das, was kein anderer so deutlich an die Stelle von Politik gesetzt hat wie Donald Trump: Dienstleistung ist Deal.

Es stehen nun früher als geplant Wahlen an, bei denen es um viel mehr geht als um das wohlige Ringen demokratischer Parteien um etwas mehr oder etwas weniger Einfluss, das man aus der alten Bundesrepublik kannte. Es wird um die Handlungsfähigkeit der zusammengeschmolzenen Gesamtheit prinzipiell verfassungswilliger Parteien im Ganzen gehen, die eine Koalition aus Rechtsextremismus und dadaistisch-sinnentleertem Populismus und Personenkult verhindern müssen. Es geht um nicht weniger als um den Fortbestand einer funktionierenden Demokratie im Geiste des Grundgesetzes.

Da helfen Schuldzuweisungen nicht und es wird eben auch mit Dienstleistung nicht zu machen sein. Das bedarf tatsächlich: Politik. Politischer Überzeugungen, politischem Gestaltungswillen, politischer Verantwortungsbereitschaft und politischem Geschick.

Und dazu gehören auch eine klare politische Sprache und Kommunikation. Sprache ist keine Nebensache, auch hier nicht. Beim Ringen um die angemessene demokratische Rede geht es, wie der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen das vor vielen Jahren hellsichtig dargelegt hat, um nicht weniger als um die Autonomie des Politischen und – solange es sich noch um eine freie Rede handelt – um den Kern der Demokratie.

Robert Habeck lässt verlauten, er wolle nun dazu beitragen, „dass wir die richtigen Debatten führen. Und die richtigen Debatten heißt: Debatten, die so groß sind wie die Probleme unserer Gegenwart.“

Ein guter Vorsatz.

Kersten Sven Roth

Hinweis:

Das Format AlGf-Zwischenruf will pointiert Perspektiven der linguistischen Gesellschaftsforschung aufzeigen. Es handelt sich um persönliche Anmerkungen des zeichnenden Mitglieds aus dem AlGf-Team.

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